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Weggelegte Autos

DIE UNENDLICHKEIT DES ENDES

Es gibt ein Sterben neben dem Shredder. Aber es braucht seine Chance und die Stille der gönnerhaften Tage.

Die große Durststrecke für Autos liegt im emotionalen Niemandsland zwischen dem Stadium der ausgelutschten Schüssel und dem Status des Klassikers.

 Irgendwann spiegelt sich der Stolz der vergangenen Tage nämlich nicht mehr so willig im verwitterten Lack, und das Radio krächzt zwar tapfer, aber hilflos gegen das Jammern der Radlager. Langsam weicht die Verbindlichkeit der ernsten Tage einer ausgeleierten Dienstbarkeit, und die Versprechen des Prospektes sind längst im Altpapier entsorgt. Dann straft man die Beulen mit Verachtung, verwirrt den Rost, den natürlichen Rächer aller Hohlraumschutzverweigerung, kurzfristig mit Polyesterbinden und Unterbodenschutz und tritt die Tür immer öfter mit dem Fuß zu.
Ist eh schon alles egal.

Endlich hat das Auto Dimensionen humaner Verwirrtheit angenommen und an Schrullen auch seine Besitzer ausgebremst, was widerum den aufrechten Autofahrer verwirrt, bis die wirkliche Zuneigung unter die Räder des Alltags kommt. Es genügt ja, wenn der arbeitende Mensch morgens nicht mit dem nötigen Drehmoment auf Touren kommt, läßt das Auto auch noch seiner Gebrechlichkeit freien Lauf, dann läuft nichts mehr, und die Szene versinkt in gleichmütiger Regungslosigkeit. Man hat also das irdene Gefäß auf.

Das Gemeine an Durststrecken ist, daß man darauf langsam verdurstet, oder, in die Sprache des Autos übersetzt: Allgemeiner Verfall statt Unfall, aber jedes Fleckerl Zivilisation markiert einen eigenen Endpunkt:

In sonnigen Ländern, wo keine technische Überprüfung den großen Horizont verdunkelt, rollt ein Autoleben langsam aus wie ein Marathonläufer nach dem Rennen, das Leben heißt. Obwohl Lockerung eigentlich nicht mehr nötig wäre. Die wird von allen Baugruppen sowieso schon länger geübt.

Andere Länder hängen technische Überprüfungen als Bremsfallschirme an altersschwache Vehikel, am Ende steht dann meistens der zweifelnde Blick eines Pickerlprüfers, dessen Schraubendreher soeben knirschend das Bodenblech pulverisiert hat.

In Österreich werden Autos durchschnittlich 11 Jahre alt, salzlose Gegenden gewähren ein bisserl mehr. Danach wird der Großteil des Straßenbildes auf den Schrottplatz geschoben, wo die Wracks ein Mahnmal gegen Automobilismus und Konsumwahn formen, wie es nur dem rauhen Leben oder Alfred Hrdlicka einfallen könnte: Autoleichen, aufgrund demontierte Räder jeglicher Trittsicherheit beraubt, türmen sich in einer Einmütigkeit, die längst keine Markennamen mehr kennt. Spätestens jetzt ist auch das Prestige der seriösen Jahre zum Kilopreis wohlfeil, der Rest an versammelter Traurigkeit sowieso. Es läßt sich dann auch locker ertragen, daß bisweilen ein Mensch mit flinkem Werkzeug daherkommt und sich für die mechanischen Eingeweide interessiert, schließlich ist eine Organspende die letzte Chance auf ersatzteilweise Reinkarnation.

So liegen die Autos, bis sie auch als Schlachtopfer keinen materiellen Wert mehr bieten, und schauen aus leeren Scheinwerferhöhlen in eine komprimierte Zukunft: An deren Ende steht eine Schrottpresse, die handliche Quader ausspuckt, also den Urmeter phantasielosen Designs. Diese beinahe unendliche Verdichtung muß ja zwangsweise zu Dichtestreß und intraautomobiler Klaustrobophobie führen, und die braucht niemand wirklich.

Wir wenden uns also sensibleren Formen der Verrottung zu, die sich in weise, ländliche Gegenden zurückgezogen haben, wo man noch weiß, daß ein stilvoller Abgang langsam zu reifen hat. Dort ersetzt das neue Auto das alte nicht, sondern macht ihm nur vordergründig den Garagenplatz streitig. Die alte Kiste, aufgrund ihrer Gebrechlichkeit sowieso nicht mehr in den streitbaren Jahren, zieht sich gefechtslos, aber mürrisch in den hinteren Winkel des Hofes zurück und parkt nur zufällig in Riechweite des Misthaufens.

Bei Ermangelung eines solchen greift das Auto eben zur Selbsthilfe: Schmieröl und Moder erzeugen nach kurzer Periode der Vernachlässigung ein unvergleichliches Aroma des Verfalls, das keinen Zweifel am faulen Räkeln arbeitsloser Matrerialien läßt. Und wer stinkt, ist nicht gesellschaftsfähig. Derlei schränkt den Aktionsradius erneut ein, bis er allmählich erwürgt niedersinkt.

In agrarisch genutzten Landstrichen bäumen sich alte Autos hartnäckiger auf. Ihre letzten Fahrten beginnen nämlich hintaus, wie der ländliche Terminus für die feldwärts führende Hofausfahrt lautet, und führen im Dienste der Landwirtschaft schnurstracks auf den Acker.

Der liegt Lichtjahre neben der polierten Großstadt und will mit ihr eigentlich nichts zu tun haben, also läßt er das Wertsystem purzeln: Im erdigen Ausgedinge spielen ausgeschlagene Achsschenkelbolzen und labbrige Stoßdämpfer bestenfalls eine Statistenrolle, und durch die Löcher im Bodenblech kann der Gatsch sowieso besser hinausrieseln. Wen stört da ein Pickerl, das von guten, alten Zeiten spricht, und um nicht unnötig aufzufallen, bleiben die Nummernschilder besser daheim, schließlich ist auch der Dorfgendarm nach Dienstschluß Weinkonsument und daher anfällig für bäuerlichen Boykott. Diese unausgesprochene Drohung läßt ihn das Auge des Gesetzes bisweilen gütig schließen.

 Ist dem Auto schließlich keine Bewegung mehr zu entlocken, so wird es friedlich in einen stillen Winkel oder auf eine ferne Wiese geschoben und sich selbst überlassen, zumindest zeitweise. Kinder entdecken ein abgeschobenes Vehikel nämlich schnell als Spielzeug, es läßt sich so herrlich Banküberfall spielen mit einem Autowrack als Fluchtfahrzeug und Fallobst als Beute.

Zwischenzeitlich zeigt auch der Zahn der Zeit sein Zahnpastalächeln und läßt keinen Zweifel, daß er auch morgen noch kraftvoll zubeißen kann. Ein Mäntelchen versteinerter Hoffnungslosigkeit wächst wie Moos über das Auto und erzeugt beim Betrachter, der es versteht, sich leise zu nähern, eine kostbare Stimmung, die niemals synthetisch hergestellt werden kann, sondern jahrelang reifen muß.

Weggelegte Autos sind blechgewordener Blues, der traurig zwischen Paradeisstöcken und Unkraut hängt wie eine verheulte Melodie im einsamen Wind, dem längst niemand mehr zuhört. Aber sie sind schön und stolz, weil sie Geschichten zu erzählen haben, die das wahre Leben schrieb, ohne Happy-End. Die Verwechslungsgefahr der Jugend haben sie längst abgestreift, im Sterben werden Autos zu Charakterdarstellern, und jede Beule verkörpert eine Anekdote, die längst nicht mehr schmerzt.

 Leicht kompostierbare Teile (Schweller, Bodenbleche, wir wissen schon) pfeifen auf die Ewigkeit und zerfallen ungeniert zu Staub, ein Akt der Versöhnung mit der geschundenen Natur.

Solchermaßen aufgebahrt läßt sich dem Ende vom Ende entgegenrosten, aber das eilt nicht. Warten ist von Ungeduld befreit, wenn kein Ziel an seinem Ende steht. Im Lauf der Jahre verschläft potentielles Geschwindigkeitsdenken in der flauschigen Dimensionslosigkeit eines längst nicht mehr berechnenden Zeitvektors.

Aber die Zeit kennt Umwege: Im letzten Aufbäumen hat sie der Methode der Autoweglegung doch noch die Unschuld geraubt. Heute, da sich das Umweltbewußtsein endlich aufbäumt wie die Drehmomentkurve eines DS 23, sind viele weggelegte Autos doch vom Wiederentdecktwerden bedroht, und die Entdecker werden allenfalls das rostige Blech hinter der Romantik erkennen. Findige Geschäftsleute sollten rechtzeitig ein paar dieser Stimmungen in Polyester gießen, um sie eines Tages gegen Geld auszustellen, in beruhigender Nähe zum Technischen und zum Naturhistorischen Museum, aber die meisten Autowracks werden sich bald im Recycling-Kreislauf drehen, bis ihnen schwindlig wird.

Danach kommt eine Wellblech-Ente vielleicht als Straßenlaterne wieder zur Welt und wird von einem Pudel angepischt.

Eine Vorstellung unter jeder Gürtellinie.

Martin

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